Nachdem Jugendliche in den letzten Jahren öfter Waffen bei sich tragen, kommt es leicht verzögert auch häufiger zu Delikten mit Waffenbeteiligung. Dem muss grossflächig und langfristig etwas entgegengesetzt werden. Sowohl präventive als interventionistische Projekte werden erfolgreicher sein, wenn Wissen und Knowhow der Jugendarbeit genutzt werden.
Dass sich Jugendliche zunehmend bewaffnen, lassen die Schlagzeilen der vergangenen Monate zumindest vermuten. Repräsentative Zahlen existieren für die Schweiz zwar nicht, aber es gibt einige Hinweise, die die These stützen: In den von der MOJUGA Stiftung für Kinder- und Jugendförderung betreuten Gemeinden beobachten die Jugendarbeitenden bereits seit 2017, dass das Tragen von Waffen kein Randphänomen mehr ist. In einem damaligen Bericht an die Behörde einer Gemeinde im Zürcher Oberland heisst es: «Immer mehr – vor allem männliche Jugendliche – laufen bewaffnet herum. Oft tragen sie Messer auf sich, manchmal erlaubte Sackmesser oder einklingige Dolche, manchmal aber auch verbotene Schmetterlingsmesser oder zweischneidige Wurfdolche.»
Eine im März 2022 von der MOJUGA durchgeführte Befragung unter Jugendlichen in den Jugendhäusern oder im öffentlichen Raum von 16 Gemeinden der Kantone Zürich und St. Gallen bestätigt den damaligen Eindruck. Von den 172 befragten Jugendlichen geben 70 an, schon einmal bewusst eine Waffe mitgeführt zu haben. Unter den männlichen Jugendlichen waren es 67,5 Prozent, unter den Mädchen hingegen bloss 3,3 Prozent. [i] Eine davon unabhängige Erhebung der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaft anhand einer Gelegenheitsstichprobe zeichnet ein ähnliches Bild: 22,5 Prozent aller männlichen Befragten zwischen 12 und 18 Jahren gaben an, zumindest selten ein Messer mit sich zu tragen (Baier/Kamenowski, 2022, S. 31).
Die Zahlen decken sich mit den subjektiven Eindrücken jener, die das Thema mit Jugendlichen direkt angehen, etwa Psychotherapeut und Präsident Schweizer Institut für Gewaltfragen (SIFG) Lothar Janssen, der an verschiedenen Schulen als Präventionsberater tätig ist. «Die Anzahl jener, die ein Messer mit zur Schule bringen, ist erstaunlich hoch und der Trend setzt sich weiter fort», sagt er. «Selbst Schüler, die als harmlos gelten, bewaffnen sich, weil sie sich angeblich bedroht fühlen.»
Mehr Delikte mit Waffenbeteiligung
War das Phänomen zunächst nicht von vermehrten Jugenddelikten mit Waffenbeteiligung begleitet, ist es im letzten Jahr gemäss polizeilicher Kriminalstatistik (Bundesamt für Statistik) schweizweit zu einem Anstieg von rund 150 Prozent gekommen, wenn auch auf niedrigem Niveau. 53 schwere solcher Delikte wurden im Jahr 2020 erfasst, in den Jahren zuvor waren es noch 21 und 24. Ob es sich beim frappanten Anstieg um einen statistischen Ausreisser handelt oder ob sich die Zahlen weiter steigern werden, wird sich in den kommenden Jahren zeigen [ii].
Ein Grund, mit präventiven Massnahmen zu warten, ist das allerdings nicht. Da sind sich Fachleute aus verschiedenen Bereichen einig. Die Kantonspolizei Zürich etwa hat Ende 2021 zusammen mit den Stadtpolizeien Zürich und Winterthur die Jugendkampagne #nofront realisiert, eine Website, die sich direkt an Jugendliche richtet und über alle denkbaren Jugendthemen informiert. Damit begegnet sie der jugendlichen Bewaffnung in einem grösseren Zusammenhang, der Begleit- und begünstigende Phänomene einbezieht.
Für die Kampagne habe man Jugendliche zu ihren Bedürfnissen befragt, erklärt Priska Rhyner-Freudemann, stellvertretende Abteilungsleiterin Prävention der Kantonspolizei Zürich. Dabei habe man herausgefunden, dass sie sich von der Polizei vor allem eines wünschen: klare Informationen darüber, was verboten ist und welche Konsequenzen bei Missachtung der Verbote drohen. Darüber hinaus verfügt die Kantonspolizei Zürich schon seit Langem über den Dienst «Jugendintervention», die Hintergründe von Straftaten untersucht und daraus Vorgehensweisen ableitet, um Täter davor zu bewahren, erneut straffällig zu werden.
Vergessenes Potenzial
Nicht nur die Polizei, auch Schule, Schulsozialarbeit, Jugendarbeit und Jugendanwaltschaft engagieren sich einerseits in ihren jeweiligen Bereichen und andererseits im Rahmen verschiedener Vernetzungsprojekte wie Koordinationsgruppen und runde Tische. Der intensive Austausch zwischen allen Akteuren, die sich um Jugendliche kümmern, ist wichtig. Doch wenn es darum geht, Projekte zu koordinieren oder auf Multiplikatoren zurückzugreifen, geht eine wichtige Instanz oft vergessen: die Jugendarbeitenden an der Front. Zwar werden Dachverbände, Leitungen von Anbietern offener Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) gerne an runde Tische eingeladen. Doch diejenigen, die Jugendliche im Alltag erleben und eine persönliche Beziehung mit ihnen aufbauen, werden kaum nach ihrer Meinung gefragt.
Tatsächlich scheint den meisten Akteurinnen und Akteuren ausserhalb unserer Berufsgruppe gar nicht bewusst, was die Arbeit der Jugendarbeitenden in den Jugendhäusern und auf der Strasse genau beinhaltet und wie gross ihre Bedeutung sowohl für die Prävention in allen die Jugend betreffenden Bereichen als auch in der Lösung der entsprechenden Probleme ist. Der vermutete Waffentrend illustriert die Rolle der OKJA beispielhaft.
Lange bevor sich das Phänomen in den Statistiken offenbarte, erkannte unsere Jugendarbeit, dass Handeln gefragt ist. «Diese Entwicklung […] kann tatsächlich zur echten Bedrohung mutieren. So kann ein Streit, der maximal mit einem kurzen Schlagabtausch und einem blauen Auge endet, durch ein ins Spiel gebrachtes Messer verheerend eskalieren», heisst es im eingangs genannten Bericht von 2017. Auch warnte die OKJA damals davor, dass Waffen in bestimmten Situationen zu einer dezidierten Reaktion seitens der Polizei führen kann, weshalb Jugendliche durch das Waffentragen nicht nur andere, sondern auch sich selbst in Gefahr bringen. Hätten aufmerksame Jugendarbeitende nicht von sich aus auf das Problem aufmerksam gemacht, hätte auch die MOJUGA-Leitung nie davon erfahren. Nur dank eines engen und bewusst gepflegten Austauschs zwischen allen MOJUGA-Mitarbeitenden ist es den regionalen Jugendbeauftragten und der Stiftungsleitung möglich, die Erkenntnisse aus der Jugendarbeit in die entscheidenden Gremien zu tragen.
Das Thema Waffenbesitz ist nur eines von vielen, für das die Jugendarbeit wie ein Seismograf funktioniert. Auch die Verbreitung von psychischen Störungen, Porno- und illegale Gewaltdarstellungen auf Smartphones, das Aufkommen bestimmter Drogen und viele weitere Themen hatte die OKJA auf dem Schirm, lange bevor sie sich in den Zahlen der Kriminalstatistiken niederschlugen. So warnte etwa die MOJUGA gleich zu Beginn der Pandemie davor, dass die Anzahl Jugendlicher mit psychischen Störungen rasanter steigen wird als bis anhin und lancierte das Projekt jugendberatung.ch [iii], um die Wartezeiten Jugendlicher auf einen Therapieplatz zu überbrücken und schnelle Hilfe zu gewährleisten.
Offenheit, Freiwilligkeit, Mitgestaltung
Was hebt die Jugendarbeit von anderen wichtigen Akteuren im Jugendbereich ab? Weil sie bestimmten Grundprinzipien folgt, nimmt sie im Leben von Jugendlichen eine einzigartige und unersetzliche Rolle ein. Kinder und Jugendliche nehmen jedes einzelne Angebot der OKJA freiwillig wahr und verpflichten sich dabei nie zur Teilnahme an weiteren Angeboten. Die OKJA ist konfessionell und politisch neutral. Sie begegnet verschiedenen Lebenslagen, Lebensstilen und Lebensbedingungen von jungen Menschen offen und nimmt deren Verhaltensweisen und Ansichten ernst. Nicht zuletzt zielt OKJA darauf ab, dass junge Menschen sich beteiligen, mitwirken und mitbestimmen.
Diese Grundprinzipien – Freiwilligkeit, Offenheit und Mitgestaltung – ermöglichen vertrauensvolle Beziehungen zwischen Jugendlichen und Erwachsenen, die in dieser Weise sonst nirgendwo zustande kommen. Jugendliche, die eine solche Beziehung zur Jugendarbeit ihrer Gemeinde haben, vertrauen sich ihnen an, wenn sie gestalkt oder gemobbt werden, wenn sie Gewalt im Elternhaus erfahren, sich Sorgen um konsumierende Freundinnen und Freunde machen, wenn sie kriminell werden, unter psychischen Belastungen leiden oder Suizidgedanken haben.
Als zugewandte Erwachsene mit einer akzeptierenden Haltung und ohne persönliche Erwartungen an die Jugendlichen heben sich Jugendarbeitende ausnahmslos von allen anderen erwachsenen Bezugspersonen von Jugendlichen ab. Dass Eltern in der Pubertät weniger ins Vertrauen gezogen werden, liegt auf der Hand, ist doch die Loslösung vom Elternhaus ein notwendiger Entwicklungsschritt, der kaum je ohne Geheimnisse einhergeht. Und selbst wenn Kinder mit ihren Eltern bis ins Erwachsenenalter so stark verbunden bleiben, dass sie sie in allen Belangen des Lebens miteinbeziehen, so können sich Eltern doch nicht von ihren Hoffnungen und Erwartungen befreien, das Kind möge glücklich, erfolgreich und anständig werden bzw. was auch immer sie selbst als erstrebenswerte Lebensziele erachten.
Lehrkräfte wiederum haben einen Bildungsauftrag. Sie begegnen Kindern und Jugendlichen mit der Absicht, ihnen etwas beizubringen: Themen, Abläufe und Erwartungen sind vorbestimmt. Der Kontakt ist für Jugendliche unausweichlich und er ist – zumindest im gegenwärtigen Schulsystem – nicht möglich, ohne dass die Lehrkräfte auf einen autoritären Führungsstil zurückgreifen, um allein eine Gruppe von über 20 Kindern über die vordefinierte Ziellinie zu bringen. Ist diese Linie erreicht, verlieren die Jugendlichen von einem Tag auf den anderen die Beziehung zu jener Person, die sie jahrelang täglich gesehen haben. Spätestens mit 16 Jahren befinden sie sich für die Institution Schule inklusive all ihrer Interventions- und Auffangmöglichkeiten ausserhalb der Reichweite.
Stabile Beziehungen
Wenn sich Jugendliche in einer Phase der Unsicherheit befinden, suchen sie keine Grenzen, sondern stabile Beziehungen, die offen genug sind, um freie Entfaltung zu ermöglichen. Genau das bietet die Jugendarbeit: Dort finden Jugendliche verlässliche Beziehungen, die Veränderungen im Leben wie etwa den Übertritt in die Lehre überdauern, deren Intensität und Ausgestaltung aber von den Jugendlichen bestimmt wird. Im Kontakt mit Jugendarbeitenden können Jugendliche über ihre Sorgen sprechen, hier finden sie Hilfe, Unterstützung bei der Umsetzung eigener Ideen und einen geschützten Raum, indem sie sein können, wer sie sein wollen. Wen sie dabei als Gegenüber haben, ist nicht dem Zufall überlassen: Jugendarbeitende sind psychosozial geschult und arbeiten im Auftrag der Öffentlichkeit.
Was eine solche Beziehung für das Leben von Jugendlichen bedeutet, lässt sich an der erwähnten MOJUGA-Erhebung zum Thema Waffentragen illustrieren. Aussagekräftiger als die nackten Zahlen sind die Muster in den Antworten, die in unterschiedlichen Gemeinden stark variieren. In jenen Gemeinden, in denen die Jugendarbeit erst in jüngster Zeit installiert wurde, antworteten die Jugendlichen auf die Frage, ob sie jemals eine Waffe auf sich getragen haben, fast durchgehend mit Nein – und das obwohl ihre Namen nicht notiert wurden. In Gemeinden, in denen die Jugendarbeit ihre Beziehungen über Jahre hinweg aufbauen konnte, ist das Vertrauen in den Antworten spürbar. Nicht nur antworteten Jugendliche ehrlicher, sondern ergänzten ihre Antworten auch mit persönlichen Begründungen: «Ich wollte jemanden erschrecken», «Ich habe Angst, nachts allein nach Hause zu gehen» oder «Es war ein cooles Gefühl.»
Die Befragung zeigte aber nicht nur den Grad des Vertrauens der Jugendlichen in die Jugendarbeitenden an, sondern auch, welchen Wert Interpretationen und Aussagen von erfahrenen Jugendarbeitenden haben. Jene, die die Jugendlichen ihrer Gemeinde schon lange kennen, wussten in den meisten Fällen, ob die eingetragene Antwort der Wahrheit entsprach.
Zuständigkeitsvakuum füllen
Der Wert der Jugendarbeit für die Prävention an sich, aber auch für die Planung von Projekten, äussert sich weniger in Zahlen als in Einzelschicksalen. Da ist das Mädchen, das der Jugendarbeiterin anvertraut, dass ihre beste Freundin erpresst wird und so vermutlich einen Suizid verhindert. Da ist der Junge, der mit Hilfe des Jugendarbeiters aus der rechtsradikalen Szene aussteigt.
Und da ist schliesslich die Gruppe von Fünftklässlern, die der Jugendarbeit durch ihr Auftreten auffällt: Die von der MOJUGA Stiftung beantragten 5000 Franken für eine intensivierte Begleitung dieser Buben wurden nicht gesprochen. Fünf Jahre später fielen sie immer noch auf. Ohne Lehrstelle und ohne erwachsene Bezugspersonen in ihrem Leben entwickelten sie sich zu einer gewalttätigen Clique, die in der Gemeinde Vandalenakte verübte und Menschen einschüchterte. In der Nachbargemeinde gab es einen fast identischen Fall, in der die Warnungen der Jugendarbeit gehört wurden und die Geschichte einen positiven Verlauf nahm.
Kurz: Die Jugendarbeit fühlt sich zuständig, wenn sich sonst niemand zuständig fühlt. Sie ist dort, wo die Schule keinen Zugriff mehr hat und die Polizei noch nicht einschreiten kann. Wird die Jugendarbeit mit einer konkreten Situation konfrontiert, sucht etwa ein Jugendlicher mit einer Waffe den Jugendtreff auf, zückt sie im Streit oder droht jemandem damit, ist ihre Reaktion aufgrund ihrer Rolle klar definiert: Haltung zeigen, konfrontieren, zur Kooperation mit der Polizei bewegen, elegante Lösungen anbieten. Jugendarbeitende reagieren sofort und eindeutig. «Ich will nicht, dass du im Jugendtreff bewaffnet bist.» Oder: «Bevor du nicht deine Waffe nach Hause gebracht hast, diskutiere ich nicht mit dir. Du musst das Jugi jetzt verlassen.» Und «Wenn ich dich ein weiteres Mal mit einer Waffe sehe, die du gesetzeswidrig auf dir trägst, werde ich dich bei der Polizei melden.»
Ständige Selbstreflexion
Was in der Theorie nicht besonders schwierig wirkt, wird im Alltag ständig auf den Prüfstand gestellt. Nur wer eigenes Verhalten regelmässig und ernsthaft reflektiert – etwa im Rahmen von kollegialen Austauschsitzungen und praxisnahen Weiterbildungen – wird in der Situation schnell genug sinnvoll reagieren können. Das beinhaltet eine Situation sofort richtig einzuordnen, um sich bei pseudowitzig abwertenden Sprüchen nicht plötzlich mitlachend wiederzufinden oder sich bei einer eskalierenden Situation unsicher abzuwenden. Jugendarbeit nimmt also eine Vorbildrolle in Sachen Konfliktbewältigung ein – auch über die Schulzeit hinaus.
Kommen persönliche Gespräch zustande, informieren Jugendarbeitende die Jugendlichen über mögliche Wege aus der Illegalität oder aus der Gefahr. Oft zeigen sich Jugendliche erleichtert und dankbar, wenn sie ihre illegale Waffe ohne Probleme loswerden können. Nicht immer sind aber solche Gespräche möglich und nicht immer verlaufen sie im Sinne der Prävention. In solchen Fällen wird die Jugendarbeit, wenn möglich in Absprache mit den Jugendlichen, nach Bedarf Eltern, Polizei oder die KESB informieren. Doch auch dann überlässt sie die Jugendlichen nicht selbst. Sie vermittelt etwa Fachstellen, bereitet Jugendliche auf den Gang zur Jugendanwaltschaft vor und begleitet sie bei allen Schritten so lange wie nötig und gewünscht.
Ressourcen verzehnfachen
Als Stiftung, die eine Offene Jugendarbeit in 18 Gemeinden leistet und somit Kontakt zu rund 8000 Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren hat, wünschen wir uns, dass wir und andere Anbieterinnen Offener Jugendarbeit bei Projekten involviert werden. Sowohl bei präventiven oder als auch interventionistischen Projekten können wir dank unserem einzigartigen Zugang zu Jugendlichen wichtige Informationen liefern: Wir kennen ihre Bedürfnisse und Aufenthaltsorte, nehmen persönliche Krisen und grosse Entwicklungen frühzeitig wahr und greifen auf das grosse Pool-Wissen und -Knowhow von über 40 Jugendarbeitenden zurück.
Dabei erachten wir jene Projekte als besonders sinnvoll, die unterschiedlichste Jugendliche erreichen und sich nicht auf ein Thema wie Bewegung, Ernährung oder Partizipation beschränken, sondern offen für die Befindlichkeiten Jugendlicher losgelöst von solchen Themen sind. Unsere Erfahrung zeigt: Um Jugendliche zu erreichen, fordern wirksame Projekte von den Jugendlichen weder Anmeldung noch Verpflichtung ein. Es darf nicht nur darum gehen, bereits sichtbare Fehlentwicklungen und Missstände zu beheben. Vielmehr sollten sämtliche Jugendlichen während ihrer ganzen Jugendzeit freiwillige Beziehungen zu Menschen eingehen können, die ihnen Werte vorleben, die wir als Gesellschaft definieren, Menschen, die eine klare, einheitliche Haltung zeigen. Das heisst: Wir müssen in die Förderung Jugendlicher auch ausserhalb der Schulen investieren.
Für eine wirklich nachhaltige Prävention reichen die aktuellen Ressourcen allerdings bei weitem nicht aus. Fast überall im Kanton Zürich sind deutlich zu wenige professionelle Jugendarbeitende im Einsatz, sodass sich eine Vollzeit angestellte Jugendarbeiterin im Durchschnitt um 400 bis 1500 Jugendliche kümmern. Dass bei einem solchen Begleitschlüssel vertrauensvolle Beziehungen nur zu einem Bruchteil der Jugendlichen möglich ist, liegt auf der Hand. Selbst bei einer Verzehnfachung der Ressourcen, wäre die Herausforderung für die einzelnen Jugendarbeitenden immens, aber – gemäss Einschätzung interner Fachleute – immerhin möglich.
Genau das wäre dringend nötig, damit wir als Gesellschaft aufhören können, Flächenbrände mit Wassereimern zu löschen versuchen und stattdessen dafür sorgen, dass gar nicht erst grössere Brandherde entstehen.
Literatur
Baier D., Kamenowski M. (2022). Wie geht es Jugendlichen nach zwei Jahren Covid19-Pandemie? – Ergebnisse der dritten Befragung junger Menschen im Kanton Zürich mit Zusatzauswertung zur Messerthematik. Zürich: Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.
Bundesamt für Statistik. Polizeiliche Kriminalstatistik, Sektion Kriminalität und Strafrecht, 2018-2020.
[i] Die Jugendarbeitenden der MOJUGA Stiftung hatten den Auftrag, in der jeweils von ihnen betreuten Gemeinden zehn Jugendliche zu befragen – sei es im Jugendtreff oder bei der aufsuchenden Arbeit an beliebten Treffpunkten auf dem Gemeindegebiet. Die Frage lautete: «Warst du schon einmal bewaffnet?» Dabei wurde nicht zwischen illegalen Waffen und legalen Messern, Pfeffersprays etc. unterschieden. Die Jugendarbeitenden kreuzten nur dann «Ja» an, wenn das Mitführen mit der Intention verbunden war, den Gegenstand im Bedarfsfall als Waffe zu nutzen. Sackmesser für Verbandsübungen von Pfadfinder*innen etwa wurden nicht eingerechnet. Die Angabe von Gründen war fakultativ. Die Jugendlichen mussten ihre Namen nicht nennen. Das Geschlecht wurde erfasst.
[ii] Inzwischen sind die Zahlen für 2021 publiziert worden. 32 unter 18-Jährige haben eine schwere Gewalttat mit Schneid-/Stichwaffen verübt.
[iii] Jugendberatung.ch wurde von der MOJUGA Stiftung gegründet hat. Gemeinden können sich dem Projekt anschliessen und so ihren Jugendlichen in Krisen ein kostenloses Brückenangebot zur Verfügung stellen. Die Wartezeit bis zum Erstgespräch dauert wenige Tage, bei Bedarf wird nach einer Anschlusslösung gesucht.