Der erste Besuch bei der Frauenärztin

Ob ein Thema rund um Jugendliche Beachtung findet, hängt einerseits davon ab, ob Erwachsene direkt betroffen sind, und andererseits davon, ob sie überhaupt etwas darüber erfahren. Wir setzen alles daran, Jugendlichen auch in jenen Bereichen Hilfe zuteilwerden zu lassen, die nicht unter dem medialen Scheinwerferlicht stehen.

Warum sind meine Brüste nicht gleich gross? Sieht meine Vulva normal aus? Wieso funktioniert das mit dem Tampon bei mir nicht? Darf ich die Pille bloss gegen Akne nehmen? Wenn Mädchen in die Pubertät kommen, haben sie meist viele Fragen zu den Veränderungen an ihrem Körper.

Die meisten suchen Antworten im Internet, sind aber – wie viele Menschen – wenig geübt, sinnvolle Quellen von weniger sinnvollen zu unterscheiden. Auch seriös wirkende Seiten sind in der Regel auf Erwachsene zugeschnitten und werden den Bedürfnissen der Jugendlichen nicht gerecht. Informationen rund um rechtliche Grundlagen, Anlaufstellen und vieles mehr, sind länderspezifisch und vermitteln deshalb je nach Suchenden falsche Informationen. Nicht zuletzt sind manche Fragen so direkt auf den eigenen Körper bezogen, dass das Internet sie nicht beantworten kann.

Am besten aufgehoben wären Mädchen und junge Frauen mit solchen Fragen bei einer Frauenärztin oder einem Frauenarzt. Die Hemmschwelle, sich zu einem Besuch in der gynäkologischen Praxis anzumelden, ist jedoch riesig. Die Mädchen wissen nicht, was auf sie zukommt, fürchten die körperliche Untersuchung, haben Angst vor intimen Fragen oder wollen nicht, dass ihre Eltern vom Besuch erfahren. Auch sie suchen im Internet nach verlässlichen Informationen über den Ablauf eines solchen Besuches, finden aber statt Antworten oft noch eine grössere Verunsicherung.

Verlässliche Informationen bereitstellen

Es ist ein Dilemma, das in vielen Themen auftritt, die Jugendliche betreffen. Während sie Erwachsene als Ansprechpartner für intime Fragen kaum in Erwägung ziehen, weil sie sich lieber an Gleichaltrige wenden, sind gerade diese wenig kompetente Auskunftspersonen. Wie können wir sicherstellen, dass junge Menschen an hilfreiche und stärkende Informationen gelangen?

Zunächst muss die Fachwelt überhaupt erfahren, was Jugendliche im Verborgenen beschäftigt. Dass dies nicht immer gelingt, hat mehrere Gründe. Erstens drängen sich oft spektakulärere Phänomene in den Vordergrund: Drogendynamiken, Mobbing oder Jugendgewalt etwa. Da solche Themen gesamtgesellschaftlich auf Unbehagen stossen, werden sie auch medial ausgiebig bearbeitet. Zweitens erfahren Erwachsene nur von Nöten und Krisen, wenn sie ihre Beziehung mit Jugendlichen über lange Zeit kontinuierlich pflegen und diese Beziehung nicht von Erwartungen geprägt ist. Warum es vom Zufall abhängt, ob einzelne Jugendliche solche Bezugspersonen in ihrem Leben wissen, haben wir im Beitrag Wo Jugendliche Hilfe finden bereits ausführlich erläutert.

Geld fehlt für Nischenthemen

Doch selbst wenn die Fachwelt von Nischenthemen erfährt, fühlen sich einzelne Institutionen dafür nicht zuständig oder sind nicht motiviert, wenig prestigeträchtigen Projekte in Angriff zu nehmen. Nicht zuletzt scheitern Bemühungen für gesellschaftlich nicht begehrte Themen an der Finanzierung; bei Geldgebern lockern gehypte Themen deutlich schneller den Sitz des Portemonnaies.

Mit all diesen Umständen sind wir konfrontiert gewesen, als wir entschieden, eine Broschüre rund um den ersten Besuch bei der Frauenärztin herauszugeben.

Unsere Jugendarbeitenden stellten fest, dass der erste Gang zur Frauenärztin viele Mädchen und junge Frauen beschäftigt und verängstigt. Sie erfuhren davon in Alltagsgesprächen beim Billardspielen im Jugendhaus oder bei Vorbereitungen für Partys. Die Not wurde deutlich bei Themenabenden rund um Liebe, Sexualität und den eigenen Körper, in deren Rahmen Jugendliche von der Möglichkeit Gebrauch machen, Fragen anonym zu stellen. Und sie stellten es fest beim Neuauffüllen der Flyerwände in den Treffs, wo regelmässig jene Regale leergeräumt sind, die Infos zu Körper und Sexualität bereitstellen.

Keine geeigneten Prints

Auf der Suche nach geeignetem Informationsmaterial, an dem sich Jugendliche unauffällig bedienen können, wurden wir nicht fündig. In der Schweiz existiert keine gedruckte Broschüre, die umfassend auf den ersten Besuch einer Gynäkologiepraxis vorbereitet und sämtliche Fragen beantwortet, die dazu auftauchen können. Die Kommunikationsabteilung der MOJUGA Stiftung beschloss deshalb, selbst eine solche zu erarbeiten. In Zusammenarbeit mit einer auf Kinder- und Jugendgynäkologie spezialisierten Ärztin, ist eine umfassende Broschüre in handlichem Format entstanden.

Auf 20 Seiten informiert sie über mögliche Gründe, eine Praxis aufzusuchen, die Vorgehensweise bei der Suche nach der passenden Fachperson und die Möglichkeit, sich begleiten zu lassen, über die nötigen Vorbereitungen und den Ablauf, über Menstration, verschiedene Verhütungsmethoden, eine ungeplante Schwangerschaft und den Schutz vor Krankheiten. Trans- und intersexuelle Menschen finden Hinweise auf spezialisierte Fachstellen. Nicht zuletzt bekommen Mädchen und junge Frauen konkrete Empfehlungen, ihre Selbstbestimmung zu wahren – auch beim Besuch einer Gynäkologiepraxis.

Was uns auch anderthalb Jahren nach der Entstehung noch fehlt, sind Menschen und Institutionen, die nachvollziehen, welche Bedeutung eine solche Broschüre für unzählige Jugendliche haben kann. Sie kann darüber entscheiden, ob ein Mädchen in schwierigen Situationen wie Krankheiten, Menstruationsbeschwerden oder einer ungeplanten Schwangerschaft Hilfe bekommt. Um Kinder- und Hausarztpraxen, Jugendheime und -häuser, Beratungsstellen und Schulen schweizweit mit der Broschüre zu versorgen, fehlt das Geld für Druck und Vertrieb.

Wir wünschen uns, dass die Fachwelt nicht nur in diesem Fall die Nischenthemen im Blick behält und auch jene Jugendlichen Hilfe zuteilwerden lässt, die in den spektakulären Themen nicht in Erscheinung treten.

Jugendarbeit: unentbehrlich, aber geringgeschätzt
Warum Litteringkonzepte nichts taugen