Die Offene Jugendarbeit ist ein Berufsfeld, für das keine Ausbildung existiert. Die Zuordnung zu einem Bereich der Sozialen Arbeit liegt nahe, ist aber falsch. Warum die Offene Jugendarbeit eine eigenständige Disziplin ist und worin ihr Potenzial liegt.
Der gemeinhin akzeptierte Begriff der Sozialen Arbeit, wie ihn die “Zürcher Schule“ definierte, orientiert sich am Defizit: Ihr Gegenstand sind soziale Probleme und deren Lösung. Menschen oder soziale Systeme, die sich nicht selbst helfen können, sollen soziale Dienstleistungen in Anspruch nehmen dürfen. Darin verortet sind die Sozialpädagogik, die Sozialarbeit und die soziokulturelle Animation. Die Offene Jugendarbeit lässt sich keinem dieser Bereiche eindeutig zuordnen. Ihr Selbstverständnis umfasst eher Aspekte der Bildung als der Problemlösung.
Als freiwilliges ausserschulisches Angebot, das allen Jugendlichen kostenlos zur Verfügung steht und auf selbstinitiierte Partizipation der Jugendlichen abzielt, bietet die Offene Jugendarbeit ein wichtiges und weites Lernfeld – es handelt sich um informelle Bildung. Jugendlichen stehen Räume und erwachsene Ansprechpartner zur Verfügung. Die Frage, wie und mit wem sie ihre Zeit verbringen, wie sie ihre Beziehungen und Räume gestalten, wird ihnen nicht von aussen beantwortet. Stattdessen unterliegt alles, was sie im Zusammenhang mit der Offenen Jugendarbeit erleben, ihren eigenen Entscheidungen.
Selbstwirksamkeit und Verantwortungsgefühl
Zu erfahren, dass ihre Überlegungen, Impulse und Handlungen Wirkungen auf die Aussenwelt haben, die sie selbst verantworten, führt zu einem Gefühl der Selbstwirksamkeit und im Laufe des Entwicklungsprozesses über die ganze Pubertät hinweg zu einer kontinuierlichen Zunahme eines achtsamen Umgangs mit Verantwortung. In einem Umfeld, das allen unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht, ihrer politischen Gesinnung und ihrer Zugehörigkeit zu Subkulturen, offensteht, lernen Jugendliche auszuhalten, dass unterschiedliche Meinungen nebeneinander existieren dürfen, sie lernen Toleranz und eine gesunde Diskussions- und Konfliktkultur.
Die Umstände, die das ermöglichen, lassen sich auf wenige Worte zusammenfassen: Jugendliche handeln selbstverantwortlich und selbstbestimmt, aber sie sind darin nicht allein, sondern werden von fachlich ausgebildeten Erwachsenen begleitet. Das ist Offene Jugendarbeit.
Unterschiede zur Sozialen Arbeit
Von den Disziplinen der Sozialen Arbeit grenzt sich die Offene Jugendarbeit dadurch ab, dass sie mit dem Grundprinzip der Offenheit nicht nur die Hilfebedürftigen, sondern alle im Fokus hat. Auch das Grundprinzip der Freiwilligkeit widerstrebt zumindest teilweise den Handlungsansätzen der Sozialarbeit: Es gibt keine einzuhaltende Termine und keine Bedingungen, die an ihr Angebot geknüpft sind.
Auch das dritte Grundprinzip, die Partizipation, meint in der Offenen Jugendarbeit etwas anderes als in der Sozialpädagogik oder der Soziokultur: Das Angebot der Offenen Jugendarbeit orientiert sich ausschliesslich an den Impulsen der Jugendlichen. Aktionen oder Projekte entstehen auf die Initiative Jugendlicher hin; die Offene Jugendarbeit unterstützt und begleitet sie bloss in der Umsetzung.
Tatsächlich kommt es in der Praxis vor, dass die Anbietende von Offener Jugendarbeit selbst Projekte initiieren und organisieren oder dass sie Veranstaltungen durchführen, die mit einem Anmeldeverfahren verbunden sind. Im Grunde handeln sie dann aber dem Selbstverständnis Offener Jugendarbeit zuwider, etwa weil die auftraggebende Gemeinde solche Angebote ausdrücklich wünscht.
Offene Jugendarbeit für alle
Das eigentliche Angebot besteht aber darin, gemeinsam Alltägliches wie Kochen, Essen, Reden, Spielen und Feiern zu erleben. Darin werden Beziehungen gestärkt und ein Lernen für Leben und Gesellschaft im Alltag möglich. Natürlich wirkt informelle Bildung auch präventiv, doch das Angebot steht auch jenen offen, die auf Prävention gar nicht angewiesen sind.
Weshalb aber brauchen die Jugendlichen speziell informelle Bildung?
Im Jugendalter geht die körperliche und seelische Entwicklung im Vergleich zu anderen Lebensphasen besonders schnell und tiefgreifend vonstatten. Die Jugendlichen bewegen sich aus dem Elternhaus raus, sind aber noch nicht als eigenständige Menschen in der Gesellschaft unterwegs.
Die Offene Jugendarbeit geht davon aus, dass diese Phase Begleitung durch Erwachsene braucht. Was diese Begleitung jedoch genau beinhaltet, ist nicht klar. Begleitet wird, was ist und was sich fachlich geschulten Jugendarbeitenden zeigt. Ihre Aufgabe ist nicht zu verändern, was ist. Vielmehr wirkt ihre Begleitung positiv auf die Entwicklung ein, indem die Jugendarbeitenden Jugendliche bestärken, eine klare, reife Haltung zeigen, zwischenmenschliche Qualitäten vorleben und Möglichkeiten zur Partizipation eröffnen, ohne diese aktiv herbeizuführen.
Flächendeckend und breitgefächert
Damit die Offene Jugendarbeit aber ihr ganzes Potenzial entfalten kann, braucht es mindestens eine Verzehnfachung der Ressourcen. Es reicht nicht, eine oder zwei Personen mit Teilzeitstellen pro Gemeinde einzusetzen – denn keine Jugendarbeiterin und kein Jugendarbeiter kann eine Verbindung zu allen Jugendlichen einer Gemeinde aufbauen. Einerseits fehlen dazu die Gelegenheiten, andererseits spielen Sympathien eine wichtige Rolle dabei, ob Jugendliche sich auf Erwachsene einlassen.
Es braucht aber nicht nur mehr Personal und entsprechend mehr Anteil in den Gemeindebudgets, es braucht auch mehr Orte, wo Jugendliche sowohl ungestört sind als auch nicht stören. Ähnlich wie es in jedem Quartier einen Spielplatz für Kinder gibt, sollten in allen Quartieren Jugendräume unterschiedlicher Art zur Verfügung stehen: geschützte Orte, wo sich Jugendliche cliquenweise treffen können, Partyräume mit Spielmöglichkeiten, überdachte Treffpunkte draussen.
Nicht zuletzt braucht es eine spezifische Ausbildung. Da keine Ausbildungsangebote für Offene Jugendarbeit zur Verfügung stehen, steigen neben Quereinsteigenden vor allem junge Menschen, die Soziale Arbeit studieren, in die Offene Jugendarbeit ein, finden hier jedoch nicht ihre Bestimmung, sondern nutzen Praktikumsplätze als Sprungbrett für den Einstieg in andere Berufe. Da eine gute Offene Jugendarbeit jedoch massgeblich von langfristigen Beziehungen lebt, wäre es sinnvoll, dass sie von Menschen ausgeübt wird, die genau diesen Beruf suchen und dabei bleiben wollen.
Falsches Berufsbild
Solange die Offene Jugendarbeit als Krisenbewältigungskommando verstanden wird, dass erst bei ausuferndem Littering, Vandalismus, Mobbing oder Jugendkriminalität herbeigezogen wird, bekommt sie gerade nur jene Ressourcen, die es braucht, um die Probleme zu bearbeiten. Die Jugendlichen, die dann Aufmerksamkeit bekommen, sind jene, die störend auffallen. Jene, die Hilfe bräuchten oder einfach nur die Kernkompetenz der Offenen Jugendarbeit, nämlich Förderung und Bildung, in Anspruch nehmen könnten, verschwinden vom Schirm. Ihnen wird signalisiert: Du musst dich erst störend verhalten, damit du wahrgenommen bist und eine tiefe Beziehung mit den Jugendarbeitenden eingehen kannst.
Diese Umstände schliesslich führen dazu, dass Offene Jugendarbeit als problem- beziehungsweise lösungsorientierte Disziplin der Sozialen Arbeit wahrgenommen wird, obwohl sie sich selbst in der Kinder- und Jugendförderung verortet.