Offene Jugendarbeit füllt ein Vakuum

In der Freizeit suchen Jugendliche Möglichkeiten, ihr Verhalten auszuprobieren, neue Kontakte zu knüpfen und ihren Platz in der Gesellschaft einzunehmen. Indem sie eigene Orte wählen, entziehen sie sich dem Zugriff durch Erwachsene – dennoch können wir sie darin begleiten. Die Offene Jugendarbeit nutzt dazu jene Voraussetzungen, die sie von anderen Akteurinnen der ausserschulischen Kinder- und Jugendarbeit abgrenzt.

Sobald Kinder in die Pubertät kommen, machen sie sich nicht mehr schnurstracks auf den Heimweg, sobald der Gong das Ende eines Schultages eingeläutet hat. Stattdessen ziehen sie zusammen mit ihren Freundinnen und Freunden vielleicht zum nächsten Lebensmittelladen, vielleicht zum Imbiss, vielleicht zum See oder zum Bahnhof. Sie wollen abhängen, plaudern, Musik hören.

Dieser freie Raum ist wichtig für eine gesunde Entwicklung, weil das selbständige Agieren in der Öffentlichkeit ein grosses Lernfeld bietet. Die Jugendlichen treffen erstmals als eigenständige Personen auf Menschen ausserhalb ihres Umfeldes, sie probieren sich aus, stossen an die Grenzen der Toleranz anderer Menschen, die sich im öffentlichen Raum bewegen, geraten in Konflikte und bekommen unmittelbar Rückmeldung auf ihr Verhalten.

Jugendliche im Vakuum

Diese Gelegenheiten, das in Elternhaus und Schule vermittelte Welt- und Menschenbild zu überprüfen, anzupassen und oder sich zu eigen zu machen, andere Meinungen und Haltungen zu erfahren, auszuhalten und damit umzugehen, sind entscheidende Schritte in der Entwicklung hin zu verantwortungsbewussten Erwachsenen. Doch sie bergen auch das Risiko, dass Jugendliche als ungefestigte Persönlichkeiten auf radikale Ideologien und Kreise stossen, ohne dass sie dieses Gedankengut abgleichen: Links- und Rechtsradikale, religiöse Fundamentalisten, Sekten, Verschwörertheoretiker*innen, gewaltbereite Fanszenen.

Wir sprechen von einer Black Box.

Es kann nicht darum gehen, diese mit Flutlicht zu erhellen, um jeden Winkel zu kontrollieren. Aber als Gesellschaft müssen wir Verantwortung für das soziale Aufwachsen unsere Jugendlichen übernehmen, indem wir dieses Vakuum mit einem leicht verfügbaren Angebot füllen, das Jugendliche freiwillig annehmen: vertrauensvolle Beziehungen, Identifikationsmöglichkeiten und Orte, an denen sie sich zurückziehen und eigenen Impulsen folgen können.

Verschiedene Formen der Jugendarbeit bieten das zumindest teilweise an – aber nur Offene Jugendarbeit kann durch die Öffentlichkeit gesteuert werden. Alle anderen Angebote entstehen durch Zufall und werden durch Zufall angenommen. Das wird deutlich, wenn man die Legitimation, die Zielgruppen und die Tätigkeit von Offener Jugendarbeit mit Vereinsjugendarbeit, verbandlicher Jugendarbeit und kirchlicher Jugendarbeit vergleicht.

Legitimation und Steuerung

Als einzige der vier Akteurinnen in der ausserschulischen Jugendarbeit wird die Offene Jugendarbeit direkt von der Bevölkerung via Gemeindeversammlung beauftragt. Die durch die Bevölkerung legitimierte Tätigkeit ist über den Vertragszeitraum hinweg finanziell gesichert. Der Auftrag wiederum ermöglicht der Bevölkerung, die Tätigkeiten der Offenen Jugendarbeit zu steuern. Die Angebote werden laufend von professionell geschulten Jugendarbeitenden zusammen mit den Behörden und den Fachausschüssen analysiert und justiert. Umgekehrt ermöglicht der Auftrag der Offenen Jugendarbeit direkten Zugang zu Behörden und Verwaltung, wodurch die Anliegen der Jugendlichen auch auf politischer Ebene Gehör finden.

Zielgruppe

Das Angebot der Offenen Jugendarbeit richtet sich üblicherweise an alle Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren, wobei Kontakte normalerweise schon früher geknüpft und länger gehalten werden. Davon abgesehen gibt es keine Einschränkungen, die Offene Jugendarbeit steht allen Jugendlichen offen. Damit unterscheidet sie sich stark von anderen Angeboten, da etwa Vereine sich an Jugendliche mit einem spezifischen Interesse richten, verbandliche Jugendorganisationen ein Programm anbieten, das nur entsprechend engagierte Jugendliche berücksichtigt, und kirchliche Jugendarbeit von einer Weltanschauung geprägt ist, die nicht alle Jugendlichen teilen.

Tätigkeit

Die Angebote der Offenen Jugendarbeit umfassen die Begleitung von Jugendräumen, aufsuchende Arbeit, Beratung und Projektorganisation, wobei die Inhalte dieser Schwerpunkte durch die Bedürfnisse und Anliegen der Jugendlichen festgelegt werden. Sie dürfen ihren Impulsen folgen, Ideen umsetzen und Projekte auch mittendrin wieder abbrechen. Damit werden die Angebote der Heterogenität der Kinder und Jugendlichen in der gesamten Gemeinde gerecht. Die Offene Jugendarbeit setzt besonders auf die Beziehungsarbeit. Im Alltag schafft sie immer wieder unverbindliche Gesprächssituationen, die sich nur aus einem unverplanten Zusammensein ergeben können. So werden auch persönliche Probleme oder ungünstige Entwicklungen früh erkannt, thematisiert und begleitet. Wenn die Beratung durch die Jugendarbeitenden nicht ausreicht, können diese an entsprechende Fachstellen vermitteln.

Diese Abgrenzung gegenüber anderen ausserschulischen Angeboten zeigt, dass die Offene Jugendarbeit in der Lage ist, das genannte Vakuum auf systematische Weise zu füllen. Das bedeutet nicht, dass sie alle Jugendlichen erreicht, aber das potenziell alle Jugendlichen erreicht werden können. Je mehr Ressourcen der Offenen Jugendarbeit zur Verfügung stehen, umso konstanter kann sie für Jugendliche da sein und umso mehr von ihnen entwickeln ein Vertrauensverhältnis. Dieses permanente, aber zwanglose Angebot erlaubt den Jugendarbeitenden, nicht nur persönliche Kontakte zu knüpfen, sondern auch Identifikationsfläche und Vorbild zu sein und somit eine positive Jugendkultur in einer Gemeinde zu etablieren.

Was uns Jugendliche wert sind
Langeweile – ein überschätztes Phänomen